Der Schmid’sche Wassermotor

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Anders gedacht – der Schmid’sche Wassermotor ist in puncto Bauart und Wirkungsweise einzigartig. Grund genug für einen detaillierten Blick

Kein Benzin, kein Diesel – rein mit umweltfreundlicher Wasserkraft arbeitet dieser Antrieb. Als der Schweizer Alfred Schmid um 1870 seinen Motor entwickelte, erblickten gerade mal die ersten Verbrenner das Licht der Technikgeschichte.

Jeder Sammler kennt das Glücksgefühl, wenn ihm jemand ein besonderes Ob- jekt anbietet. Jenen solchen Moment wird

Eckhard Kilian niemals vergessen. Auf ei- nem Traktor-Treffen Anfang der Neunzi- ger stößt er auf einen ziemlich rätselhaften Motor. Irgendwas fehle, damit die Maschi-

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ne funktioniert, meinte der Besitzer. Und fügte hinzu, dass das Konstrukt auch ohne zu laufen hübsch genug für einen Platz in der Vitrine sei. Also nimmt der Technik- sammler den Motor in Augenschein und anschließend mit nach Hause. Jede Men- ge Messing und eine interessante Mecha- nik sind schließlich Kaufargumente genug.

Eckhard Kilian bringt das gerade einmal 30 Kilogramm schwere Aggregat in der heimischen Werkstatt erstmal optisch auf Vordermann. Dabei beginnt die Grübelei: Es gibt weder Zündung noch Einspritzung, kein Luntenhalter und auch keine Treib- stoffzufuhr. Dafür ein fettes Rohr, wie eine Wasserleitung. Vielleicht eine Dampfma- schine mit externer Dampferzeugung?

Da Versuch bekanntlich klug macht, verbindet der Tüftler das seltsame Rohr mit einem kräftigen Wasserschlauch, worauf der Motor umgehend die Arbeit aufnimmt und mit stoischer Ruhe vor sich hin rattert. Wasserkraft? Neben Turbinen und Was- serrädern findet sich in der Literatur tatsächlich das Stichwort „Wassermotor“.

Als Vater dieser Maschinen gilt der Schweizer Alfred Schmid. Der Züricher ist nahezu besessen von der Idee, Wasser aus einem Hochbehälter dazu zu nutzen, Maschinen zu betreiben. Denn die damals üblichen Wasserräder und Turbinen be- nötigen zum Betrieb große Mengen des kühlen Nasses, am besten aus einem kräf- tigem Bach oder Mühlengraben.

Schmid hat die Idee, einen doppelt wirkenden Kolben, ähnlich einer Dampfmaschine mit Druckwasser zu beaufschlagen und somit aus wenig Flüssigkeit und moderatem Druck Energie zu gewinnen.

Sein Wassermotor besitzt einen starr mit dem Pleuel verbundenen Kolben, der von zwei Seiten mit Druck beaufschlagt wird. Um diese starre Verbindung in Rotation zu versetzen, lagerte Schmid den Arbeitszylinder in seiner Mitte und sorgte so für eine wippende Bewegung. In diesem Lagerelement brachte er eine Art halbrunde Schiebersteuerung unter, die den Was- serstrom wechelseitig je nach Totpunktla- ge auf die Ober- oder Unterseite des Kolbens lenkt.

Schmids Motor funktioniert ähnlich einer Oszillationsdampfmaschine, wie sie seit 1884 beispielsweise auch den Elbdampfer Diesbar antreibt. Rasch löste der Entwick- ler sein bis dahin größtes Problem, die Abdichtung der Steuerung, durch einen genialen Trick: Eine einfache Nachsetzvorrichtung erlaubt das Anziehen der Buntmetall-Verbindung im Betrieb. Solange, bis die Steuerung dicht ist.

1873 präsentierte Alfred Schmid seinen Wassermotor auf der Wiener Weltausstel- lung. Die Maschine fand großen Anklang, ermöglichte sie doch überall dort, wo Druckwasser vorhanden war, den Antrieb vielfältiger Geräte. Von Großwaschmaschi nen über Brennholzsägen und Pumpen.

50 Jahre lang lieferte Miele Waschmaschinen mit eigenen Wassermotoren. Es gab sogar zeitweise eigene Anschlüsse fürs Treibwasser bis hin zu Schrotmühlen und Milchzentrifugen trieb der Motor alles an, was Leistungen von einem bis 15 PS benötigte. Schmid produzierte seine Maschinen mit typisch Schweizer Präzision, sie erwiesen sich als so haltbar, das manche Exemplare ein Jahrhundert lang störungsfrei im Einsatz waren.

Voraussetzung für den richtigen Schwung ist ein Wasserdruck zwischen zwei und fünf bar. In der Schweiz herrschen dafür günstige Bedingungen: Eine einfache Lei- tung aus einem 20 bis 50 Meter hohem Gewässer oberhalb eines Hangs genügt, um den Wassermotor zu betreiben. Mit den Jahren boten Kommunen sogar spezielle Treibwasserleitungen an, die das kostbare

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Nass mit dem erforderlichen Druck in minderer Nicht-Trinkwasser-Qualität „direkt aus dem Hahn“ lieferten.

Besonders beliebt waren die Triebwerke auf Almen, Wasser aus höhergelegenen Seen gab es genug, und mit dem „Abwasser“ ließen sich immer noch Kühe tränken und Tanks befüllen. Kommunen trieben mit den Motoren Pumpen an, um ihre Hochbehälter zu füllen, dabei kombinierten die Wasserwerke mehrere der Geräte zu einer Kraftkaskade.

Nach dem Ersten Weltkrieg bis noch in die Sechzigerjahre lieferte auch Waschma- schinenpionier Miele seine Geräte mit Wassermotorantrieb eigener Bauart aus, der Druck kam aus der Brauchwasserleitung und das Abwasser konnte noch für weitere Zwecke genutzt werden.

Ziemlich genial, die Sache! Doch wo sind die einst zahlreich hergestellten Motoren geblieben? Als Schmelzofenfutter lieferten die mit viel Bronze und Messing hergestellten Aggregate in beiden Kriegen begehrtes Buntmetall für die Rüstungsindustrie. Heute sind sie wegen ihrer Schönheit und der tollen Funktion begehrte Sammlerobjekte. Dabei aber auch extrem selten aufzustöbern, derzeit findet sich auf den gängigen Verkaufsplattformen gerade einmal ein einziges Exemplar für stramme 5000 Euro Verhandlungsbasis.

Für uns schließt Eckhard Kilian seinen um 1900 gebauten Motor an die Wasserlei- tung an. Er besitzt das wohl kleinste Modell, womöglich ein Spielzeugmotor, ein

Waschmaschinenantrieb oder einfach ein Demonstrationsobjekt, wie Schmid es auch auf Messen vorführte.

Wasser Marsch! Eckhard dreht den Hahn auf, und sofort setzt sich der Motor in Bewegung. Bei etwa 200 Umdrehungen tourt das Maschinchen stoisch vor sich hin und liefert circa ein bis zwei PS Leistung. Aus 58 Millimeter Hub und 40 Millimeter Bohrung resultiert ein Hubraum von 72 Kubikzentimetern. Bei Nenndrehzahl kon- sumiert der clevere Schweizer knapp 30 Liter pro Minute, die den Motor mit immer noch hohem Druck in voller Menge als Abwasser verlassen und somit für weitere Nutzzwecke zur Verfügung stehen.

Doch das Wasser läuft nicht einfach heraus, bei jedem Hub vollführt der Strahl einen S-förmigen Schwung. Der resultiert daraus, das Schmid zur Vermeidung der beim Umsteuern entstehenden Druckspitze einen „Windkessel“ eingebaut hat. Dieser Messing-Behälter nimmt die Druck- spitze auf, die dann entsteht, wenn kurzzeitig beim Umsteuern Ein- und Auslass verschlossen sind und gibt sie ab, wenn das Wasser wieder fließt.

Der Siegeszug der Schmid’schen Wassermotoren endete mit dem Durchbruch erschwinglicher Verbrenneraggregate, die völlig autark einsetzbar waren. Ein weite- rer Sargnagel für die simple Maschine war der immer besser werdende Zugang zur Elektrizität. Stecker rein und fertig ist nun mal einfacher, als eine Wasserleitung zu gen und einen Schlauch anzuschließen. Wie lange Schmid seine Erfindung am Ende herstellte, ist leider nicht überliefert, Wasserwerker vermuten bis etwa Ende der Vierzigerjahre.

Wassermotoren sind heute begehrte Sammlerobjekte

Anfangs hat Eckhard Kilian seinen Motor auf Treffen mittels einer elektrisch be- triebenen Pumpe mit Druckwasser versorgt, um den Besuchern die seltene Tech- nik vorzuführen. Bei unserer Recherche sind wir jedoch auch auf andere Besitzer solcher Motoren gestoßen, die statt Wasser etwa Abgase eines Diesels als Schwungquelle nutzen. Was zumindest auf den entsprechenden Videos überzeugend gut funktioniert.

Wie auch immer, würde ich heute so ein technisches Kleinod entdecken, würde ich es kaufen. Dann stünde ich vor einer wichtigen Frage: Wohnzimmervitrine oder Waschküche? Der technischen Schönheit wegen spricht vieles für die Vitrine, aber die Schmid’sche Konstruktion in Aktion zu beobachten, ist immer wieder ein Erlebnis. Danach kann der Motor ja bis zur nächsten Vorführung gerne das heimische Wohnzimmer verschönern.

Text: Dirk W. Köster Fotos: D. W. Köster, Archiv